Europaweite Demos gegen ACTA-Abkommen
Europaweite Demos gegen ACTA-Abkommen
Der Proteste gegen das internationale Handelsabkommen ACTA nehmen zu: Am Samstag sind europaweit Demos geplant, auch in Deutschland. Lettland ratifizierte ACTA als dritter Staat nicht, und in Polen protestierten Hacker auf ihre Weise.
Die Internetgemeinde ist alarmiert: Ein geplantes internationales Abkommen könnte nach ihrer Meinung die Freiheit im Netz einschränken. Mit Rückendeckung durch den sogenannten ACTA-Vertrag könnte es zum Beispiel wahrscheinlicher werden, dass Anbieter ihren Kunden den Zugang zu Tauschbörsen sperren, befürchtet Stephan Urbach von der Piratenpartei in Berlin. ACTA provoziert auch weitere Ängste, etwa vor Durchsuchungen des privaten Laptops an der Grenze. Dagegen wollen am Samstag in mehreren Dutzend deutschen Städten und in halb Europa Menschen auf die Straße gehen.
Die Gegner sehen in ACTA (Anti-counterfeiting Trade Agreement; Handelsabkommen zur Abwehr von Fälschungen) eine Gefahr für die Freiheit im Internet. Die Befürworter halten ACTA für wichtig, um Verstöße gegen Urheberrechtsverletzungen einzudämmen.
ACTA soll den Schutz geistigen Eigentums verbessern. Einerseits geht es also um klassische Fälle wie den Container mit gefälschten Adidas-Turnschuhen aus Fernost. Der Schaden durch nachgemachte Waren in Europa beläuft sich laut EU-Kommission pro Jahr auf acht Milliarden Euro – mit allen Folgen, die das für Wettbewerb und Arbeitsplätze hat. Die Anti-ACTA-Aktivisten konzentrieren sich aber vor allem auf die befürchteten Folgen für das Internet.
Gefahr für Tauschbörsen
So behandelt Abschnitt 5 des Vertragswerks die „Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums in der digitalen Umwelt“. Jeder Unterzeichnerstaat habe in seinem eigenen Rechtsbereich für eine wirksame Strafverfolgung und Abschreckung zu sorgen. Internetprovider sollen Daten wie die IP-Adresse herausrücken, die bei Verstößen eine Identifizierung von Personen ermöglichen. Inhaber von Urheberrechten können dann ihre Ansprüche juristisch durchsetzen. Ferner sollen Maßnahmen gegen die Umgehung von Kopierschutztechniken ergriffen werden.
Staaten sollen mit Blick auf Urheberrechtsverletzungen im Netz laut ACTA-Artikel 27 „Kooperationsbemühungen im Wirtschaftsleben“ fördern. Was das konkret heißen könnte, sieht Pirat Urbach so: Ein Musikkonzern vereinbart mit einem Internetprovider, dass dieser seinen Kunden den Zugang zu bestimmten Tauschbörsen sperrt. Dabei wäre dann egal, ob der Internetnutzer in dieser Börse Fotos und Filme seines Hobbys austauscht oder illegal erstellte Kopien etwa von Spielfilmen oder Musik.
Die Betreiber der Plattform „stoppacta“ führen deshalb an, dass sich Internetnutzer vor einem „massiven Eingriff in ihre Privatsphäre“ fürchteten. Und der Grünen-Europaabgeordnete Jan Albrecht meint: „ACTA enthält neue Befugnisse für Zollbehörden“, die „zu anlasslosen Durchsuchungen von Laptops und MP3-Spielern bei Privatreisenden führen können.“
Strengere Strafverfolgung?
Auch eine strengere Strafverfolgung privater mutmaßlicher Urheberrechtsverletzer erhalte durch ACTA „Rückenwind“, glaubt der Hannoveraner Rechtsprofessor Axel Metzger. Zwar bleibe ACTA in den meisten Punkten ziemlich allgemein, bei künftigen Gesetzen könnte sich aber vor allem die Industrie auf diesen neuen Rahmen berufen – und nicht die Nutzer und Verbraucher, meint der Jurist. Sein Fazit: „ACTA ist nicht ausgewogen.“
Die EU-Kommission, die den Vertrag im Namen der Union mit den anderen Ländern wie USA und Japan ausgehandelt hat, hält die Kritik für irreführend. Es gehe um die weltweite Fixierung von Standards, die in der EU ohnehin gälten, wiederholte ein Sprecher diese Woche. ACTA werde „den Zugang zum Internet nicht kappen oder irgendwelche Webseiten zensieren“.
Lettland ratifiziert ACTA nicht
Zu den 37 Staaten, die das Abkommen vereinbart haben, zählen unter anderem die 27 EU-Mitglieder, die Schweiz, die USA und Japan. Deutschland hat ACTA aus formalen Gründen noch nicht unterzeichnet – was aber nach Informationen aus dem Auswärtigen Amt in Kürze nachgeholt werden soll. In Polen und Tschechien wurde hingegen die Ratifizierung des Vertrags nach heftigen Protesten vorerst ausgesetzt. „Wir dürfen auf keinen Fall zulassen, dass die bürgerlichen Freiheiten und der freie Zugang zu Informationen in irgendeiner Weise bedroht sind“, erklärte der tschechische Ministerpräsident Petr Necas. Auch Lettland hat die Ratifizierung am Mittwochabend vorerst ausgesetzt.
Derweil rufen auf YouTube immer mehr Menschen zu Protesten gegen ACTA auf – auch Stars des Videoportals mit zahlreichen Abonnenten (siehe Videos).
Hacker haben am Mittwoch erneut die Website des polnischen Kulturministeriums außer Gefecht gesetzt. Kulturminister Bogdan Zdrojewski gilt als der entschiedendste Verfechter des ACTA-Abkommens für Urheberschutz in der polnischen Regierung und hat sich damit seit Wochen die Internetgemeinde des Landes zum Feind gemacht. In Polen hatten in den vergangenen Wochen zehntausende gegen das internationale Abkommen protestiert, auch Datenschützer meldeten Bedenken an.
Die Internet-Enquete-Kommission des Bundestages betont in einem Zwischenbericht, „dass das Urheberrecht an vielen Stellen durchaus einer systematischen Anpassung bedarf, um in der digitalen Gesellschaft einen angemessenen Ordnungsrahmen für immaterielle Güter zu erhalten“. Neben den berechtigten Ansprüchen der Urheber sei auch „das allgemeine Interesse an der Förderung von Kreativität, Innovation und Erkenntnisfortschritt zu berücksichtigen“. Weil die Interessen von Verlags-, Film- und Musikbranche auf der einen Seite und den Internetnutzern auf der anderen Seite weit auseinanderklaffen, scheint aber eine Reform des Urheberrechts, die beiden Seiten gerecht werden könnte, in weiter Ferne.
Demonstrationen in 54 deutschen Städten
Netzaktivist Markus Beckedahl, Vorsitzender des Vereins Digitale Gesellschaft und Mitglied der Internet-Enquete des Bundestags, sieht ein Problem in den allgemein und vage gehaltenen Formulierungen des ACTA-Textes. „Wenn es dann zu unterschiedlichen Interpretationen kommt, ist die Frage: Geht das Pendel in Richtung Meinungsfreiheit oder in Richtung Schutz von geistigen Monopolrechten?“
So will Beckedahl am Samstag in Berlin auf die Straße gehen, wenn europaweit zu Protestaktionen gegen ACTA aufgerufen wird. Allein in Deutschland sind Demonstrationen in 54 Städten geplant – von Aachen über Chemnitz, Minden und Rostock bis Würzburg. Zu den Organisatoren zählt auch die Piratenpartei, deren Vorsitzender Sebastian Nerz kritisiert: „ACTA ist ein weiterer Schritt in die falsche Richtung. Das Abkommen hält an Vorstellungen eines nicht mehr zeitgemäßen Urheberrechts fest.“
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Quelle: focus.de